Zwei Schwestern also, Thanh-Van und Kim Tran-Nhut, als Kinder von
Vietnam in die USA übersiedelt, bald darauf nach Frankreich, wo seit
1999 ihre Kriminalromane um den Mandarin Tân erscheinen, der dritte nun
endlich auch auf Deutsch. Ein exotisch-historisches Setting, ein
Richter samt Gehilfen, mehrere Mordfälle: das klingt nach Robert van
Gulik, das sind die Richter-Di-Geschichten aus dem „alten“ China, aber
anders und letztlich überzeugender.
Van
Guliks Konzept ist so genial wie problematisch. In den
Richter-Di-Romanen wird eine uns fremde Weltanschauung ins wohl
vertraute Prokrustes-Bett des Whodunit gezwängt und die nicht nur das
Genre prägende deduktive Logik des Westens überwältigt das scheinbar
Irrationale des räumlich wie geschichtlich so fernen Ostens. Ein clash
of cultures gewissermaßen, mit dem von Anfang an feststehenden
Gewinner. Di mag an Geister glauben und den Kaiser für ein göttliches
Wesen halten, er unterwirft sich den Dogmen des Absolutismus und der
Brutalität seiner Epoche – on the job indes agiert er als ein in die
falsche Zeit geworfenes Kind der europäischen Aufklärung.
Das ist,
wie gesagt, genial, weil es unserem Wunsch nach Exotik entgegenkommt
und einen Bildungsmehrwert draufpackt; und problematisch, weil es die
Dinge zu unserer Zufriedenheit als Krimikonsumenten und Individuen der
westlichen Moderne auflöst. Van Guliks Romane sind nett (und, nebenbei,
mäßig geschrieben und übersetzt) oder hanebüchen, ganz nach Gusto.
Das schwarze Pulver von Meister Hou
folgt in vielem den Gulikschen Leitmotiven – und weist doch
entscheidend über sie hinaus. Es beginnt mit einem Piratenstück:
Seltsam leblose Wesen – Tote! – überfallen eine Dschunke und berauben
sie, zwei Frauen bleiben tot zurück. Während Tân die Geistererscheinung
nicht in Zweifel zieht und sich an die Untersuchung macht, wird der
alte und wolllüstige Adlige Diêm ermordet. Auch hier scheinen
übernatürliche Kräfte im Spiel zu sein, ebenso beim mysteriösen,
schaurig inszenierten Diebstahl von Grabsteinen. Nur die dubiosen
Geschäftsgebaren des für Im- und Export zuständigen Eunuchen Clemens
sind ganz und gar weltlich. Dem derart beschäftigten Tân macht zudem
ein schiffbrüchiger französischer Jesuit Sorgen, den er freundlich
aufgenommen hat, dessen Benehmen jedoch merkwürdig ist und im Verlauf
der Handlung immer merkwürdiger wird.
Diese Handlung vollbringt nun
das, was sie vollbringen soll. Eine sehr präzise, von Adjektiven
dominierte Sprache erbaut die übliche eskapistische Welt, exotisch und
fremd, aber niemals von der lesererfahrungsgemäß nahe liegenden
kitschigen Blumigkeit. Wir erfahren eine Menge über Naturheilkunde und
Alchimie, beteiligen uns an Debatten über die Unvereinbarkeit von
Konfuzianismus und Taoismus (kennen wir schon aus den Di-Romanen),
sinken in die Abgründe eines verwirrten Jesuiten und erhalten nebenbei
eine Einführung in die Bekleidungsmode der Zeit. Ein Lektürevergnügen,
und wem das reicht, der braucht jetzt nicht mehr weiterzulesen.
Doch
je genauer und eindringlicher diese Beschreibung des alten Kaiserreichs
Dai Viêt gerät, desto deutlicher zeichnen sich unter dem bunten und
sprachlich üppigen Gewebe die Umrisse eines anderen, uns geschichtlich
sehr viel näheren Vietnam ab, die opulente Draperie wird zum
Leichentuch. Jede Person steht für eine Idee, Frau Eisenhut
beispielsweise, die Dame mit den biegsamen Zöpfen, eine junge Witwe,
gleichermaßen Unterdrückerin und Wohltäterin, brutale
Gefängnisaufseherin und Befreierin in einer Person oder, wie es ihr
Name nahe legt, in geringer Dosierung heilsam, in zu hoher Verderben
bringend. Nie wurde uns Kommunismus prägnanter erklärt.
Auch die Ehe
der betörend schönen Madame Libelle mit dem krötigen Eunuchen ist mehr
als ein delikates Figurenarrangement. Hier verbünden sich Ästhetik und
Geschäftssinn, beide kalt und berechnend, moralisch tot. Warum jener zu
Tode kommende Graf ausgerechnet Diêm heißen MUSS, finde ein jeder durch
Googeln heraus. Und auch das visionäre Wunschbild eines gedeihlichen
Ideenaustauschs zwischen Vietnam und den ins Land drängenden
Fremdlingen aus Europa wird personalisiert, nimmt aber kein gutes Ende
und die Kolonialisierung ihren Lauf.
Wie so die handelnden
Personen noch eine andere Geschichte erzählen, ohne die zu verraten,
für die sie vordergründig erschaffen wurden, das ist die eigentliche
Kunst des Buches. Und der zur Flucht in das üppige Unverfängliche
verflossener Zeiten geneigte Leser muss, um dies zu erkennen, andere,
weniger eskapistisch gesonnene Teile seines Gehirns aktivieren. Wer
sich im China des Richters Di verloren hat, findet im Vietnam des
Mandarins Tân den Ausgang in die Wirklichkeit.
Dieter Paul Rudolph
Tran-Nhut:
Das schwarze Pulver von Meister Hou. (La poudre noire de Maître Hou,
2002) Ein Kriminalfall für Mandarin Tân. Unionsverlag metro 2008. Aus
dem Französischen von Michael Kleeberg. 319 Seiten. 19,90 Euro.